meist geheim: Bewertungsbogen für den praktischen Prüfungsteil
Nach meinen langjährigen Erfahrungen hatten die IHKs die Bewertungskriterien jahrelang geheimgehalten. Das ändert sich allmählich.
Zahlreiche IHKs nennen inzwischen mehr oder weniger ausführliche Bewertungskriterien; die Prüfungsausschüsse nutzen vermutlich aber jeweils detaillierte Bewertungsbogen.
Hier finden Sie einen detaillierten Bewertungsbogen der IHK Nord Westfalen, Münster
Bewertungsbogen für Lehrgespräche der IHK Essen
Mitte 2016 hatte ich einen ausgefüllten Bewertungsbogen (mit Punkteverteilung) der IHK Ruhr / Essen von einem Prüfling erhalten. Diejenigen Teile, die dazu beitragen könnten, den betreffenden Prüfling zu identifizieren, habe ich entfernt. – Die 20 Einzel-Bewertungskriterien habe ich von 1 bis 20 nummeriert:
Meine Kritik betrifft mehrere Aspekte
Die maximale Summe von 100 Punkten ist offensichtlich nur erreichbar, sofern der Prüfling alle aufgezählten Einzel-Anforderungen erfüllt hat.
Im Folgenden begründe ich, dass es zahlreiche Lehrgesprächs-Situationen geben kann, in denen mehrere Einzelanforderungen gar nicht relevant sind. In diesen Fällen gehen dem Prüfling ungerechtfertigt zahlreiche Bewertungspunkte zur seiner AdA-Prüfung verloren. Das führt zur ungerechtfertigten Abwertungen des Prüfungsergebnisses bis hin zu “nicht bestanden“.
Punkt 1: Begrüßung, Befangenheit abbauen
Manche AEVO-Prüfungsaussschüsse sind ausdrücklich der Meinung, dass ein Prüfling im praktischen Teil seiner AdA-Prüfung die ‘Unterweisung’ (Lehrgespräch oder 4-Stufen-Methode) immer mit einem Smalltalk beginnen soll.
Es könnte doch aber sein, dass es sich im konkreten Fall um einen kleinen Ausbildungsbetrieb und mit nur einem einzigen Azubi handelt. In einem solchen Fall braucht der Ausbilder vor dem Lehrgespräch (oder einem Unterricht nach der 4-Stufen-Methode) keine mögliche Befangenheit abzubauen: Ausbilder und Azubi hatten am betreffenden Tag ja bereits dauernd Kontakt. Unter Umständen sitzen sie sogar Schreibtisch an Schreibtisch (1:1-Ausbildung).
Sofern es sich um ein Großunternehmen handelt, kann es dort ebenfalls eine 1:1-Ausbildung geben, oder der zu prüfende Ausbilder leitet eine Ausbildungsgruppe mit vier bis sechs Azubis. In diesem Fall hatte man sich ebenfalls schon morgens ‘angewärmt’ … und wartet damit nicht erst bis zum Beginn der Unterweisung.
Gleiches kann auch für Handwerksbetriebe gelten.
Außerdem gibt es auch solche AEVO-Prüfungsausschüsse, für die ein Smalltalk zum Wohlbefinden, zur Berufsschule oder zu Ähnlichem ausdrücklich falsch ist! Wenn der Azubis zum Beispiel zu Beginn der Unterweisung am Montagvormittag gefragt wird, wie er das Wochenende verbracht hat, dann könnte der Azubi doch sehr ausführlich antworten und damit die Zeitkalkulation für das Lehrgespräch gefährden! (In manchen IHKs darf die Unterweisung nur zehn Minuten dauern!) Oder war eine solche Smalltalk-Frage doch nicht ernst gemeint?
Fazit: Dem Prüfling fehlt bereits hier ungerechtfertigt ggf. der erste anrechenbare Bewertungspunkt!
Punkt 4: Feinlernziel, Bewertungsmaßstab
Ein Bewertungsmaßstab ist bei einem zehn- bis 15-minütigen Lehrgespräch häufig nicht relevant, zum Beispiel beim Feinlernziel “… wird den Vorteil von XY darstellen können”: Entweder kann der Azubi den Vorteil darstellen oder nicht. – Wie schwierig ist dagegen zum Beispiel der Bewertungsmaßstab für den Inhalt eines Deutschaufsatzes in der Schule!
Im Lehrgespräch kann ein Bewertungsmaßstab sinnvoll sein, zum Beispiel wenn das Lernziel lautet: Der Azubi soll mindestens sieben der insgesamt zehn Bestandteile einer Rechnung aufzählen und grob erklären können.
Ein Bewertungsmaßstab kann auch bei der 4-Stufen-Methode angebracht sein, sofern hier Abweichungen vom erstrebten Arbeitsergebnis objektiv messbar sind. Aber innerhalb der praktischen AdA-Prüfung kann bei der Vier-Stufen-Methode keine Erfolgskontrolle stattfinden, weil die Prüfungszeit nur noch für die Stufe drei ausreicht. Danach kommt die Stufe vier “Üben, Üben, Üben”, und erst anschließend ist eine Erfolgskontrolle möglich!
Fazit: Dem Prüfling fehlen hier ggf. weitere Bewertungspunkte.
Punkt 10: helfen, Erfolg vermitteln, loben
Die Aspekte “helfen, Erfolg vermitteln” erübrigen sich, sofern der Azubi innerhalb der Unterweisung gar keine Verständnisprobleme hat. Darüber hinaus sollte es auch grundsätzlich das Geschick des Ausbilders sein, das Fachgespräch so zu strukturieren, dass gar keine zusätzliche Hilfe erforderlich ist.
Deshalb braucht dieser Aspekt keine Rolle zu spielen, wohl aber der dritte Aspekt “loben”.
Fazit: Dem Prüfling fehlen hier ungerechtfertigt ggf. weitere Bewertungspunkte für sein Lehrgespräch.
Punkt 11: Ergebnisse / Antworten festhalten, visualisieren und zuordnen
Diese sehr umfassende Anforderung wird mit zehn Punkten bewertet!
Es kann tatsächlich Unterrichte geben, bei denen es sinnvoll ist, Teilergebnisse festzuhalten, aber eine Visualisierung und Zuordnung braucht es deswegen trotzdem nicht zu geben!
Darüber hinaus: Ein im Lehrgespräch gesprochenes anschauliches Beispiel kann eine wesentlich wirkungsvollere Visualisierung darstellen als eine auf dem Blatt oder auf dem Flipchart geschriebene abstrakte Definition!
Fazit: Dem Prüfling fehlen hier ungerechtfertigt ggf. weitere Bewertungspunkte.
Punkt 12: alternatives Vorgehen diskutieren
In vielen Fällen gibt es kein alternatives Vorgehen, zum Beispiel beim Feinlernziel “… soll zu drei Beispielen anhand der AGB entscheiden, ob ein Widerruf möglich ist.”
Fazit: Dem Prüfling fehlen hier ungerechtfertigt ggf. weitere Bewertungspunkte für sein Lehrgespräch.
Punkt 14: Zusammenfassung, Wiederholung
Dieses Anforderungskriterium kann beim Lehrgespräch problematisch sein. Denn kurz danach wird doch das Erreichen des Feinlernziels kontrolliert: Sofern es eine zusammenfassende Wiederholung gibt und danach die Erfolgskontrolle folgt, wird dann allenfalls das Ultrakurzzeit-Gedächtnis des Azubis geprüft …
Im Ausnahmefall kann es allerdings auch bestimmte Arten von Zusammenfassungen geben, die die Erfolgskontrolle nicht schon vorwegnehmen.
Fazit: Dem Prüfling fehlen hier ungerechtfertigt ggf. weitere Bewertungspunkte.
Punkt 15: Verständnisfragen
Wenn damit Kontrollfragen des Ausbilders an den Azubi gemeint sein sollen (ob der Azubi es wirklich kapiert hat), kommt es darauf an, ob solche Fragen wirklich erforderlich sind.
Dem Prüfling fehlen hier ungerechtfertigt ggf. weitere Bewertungspunkte.
Punkt 16: Lernziel / Bewertungsmaßstab, Arbeitsauftrag nennen
Der Punkt “Arbeitsauftrag” scheint aus einer Bewertungsvorlage für die 4-Stufen-Methode übrig geblieben zu sein. – Beim Lehrgespräch heißt dieser Abschnitt “Erfolgskontrolle”!
Der Ausbilder muss eine Erfolgskontrolle durchführen. Dabei muss er das zu Beginn des Lehrgesprächs ausgesprochene Feinlernziel nun in der Befehlsform formulieren, zum Beispiel: „Bitte stellen Sie mir jetzt, in meiner Rolle als Kunde, den Vorteil von XY dar!”
Fazit: Dem Prüfling fehlen hier ungerechtfertigt ggf. weitere Bewertungspunkte.
Punkt 18: Selbstkontrolle des Auszubildenden und aktive Kontrolle des Ausbilders
Spielt bei Lehrgesprächen meist keine Rolle, eher bei der 4-Stufen-Methode!
Fazit: Dem Prüfling fehlen hier ungerechtfertigt ggf. weitere Bewertungspunkte.
Zu den Punkten 10, 11, 14 und 15: Sofern der Azubi die Lernzielkontrolle bestanden hat, beweist das, dass diese Aspekte nicht erforderlich waren.
Im Bewertungsbogen der IHK Essen fehlen wesentliche Aspekte
- die Qualität des roten Fadens: Inwieweit sind die einzelnen Lernschritte angemessen und logisch aufeinander abgestimmt?
- die ausdrückliche Nennung “sonstige Aktivierung des Auszubildenden” (als Ergänzung zu “öffnende Fragen”). Eine lernmotivierende und lernunterstützende Aktivierung ist es zum Beispiel, wenn der Auszubildende in einem AGB-Textteil wesentliche Kriterien markieren oder wenn er eine vorstrukturierte Teilnehmerunterlage ausfüllen soll.
- die Bewertung eines eventuellen Medieneinsatzes (Angemessenheit, Attraktivität)
- das Auftreten des Ausbilders gegenüber dem Auszubildenden: Freundlichkeit, Körpersprache, insbesondere Blickkontakt, persönliche Ansprache mit dem Namen des Auszubildenden, klare Formulierungen, deutliche Aussprache
- affektive Lerninhalte, zum Beispiel das Vermitteln von Überzeugungen und der Wichtigkeit des Tuns
- die ausdrückliche Nennung des Kriteriums “Erfolgskontrolle“, und zwar präzise in Bezug auf das angestrebte beobachtbare / operationalisierte Feinlernziel
- Einhalten der vorgegebenen Gesamtzeit sowie Angemessenheit der zeitliche Aufteilung für die einzelnen Phasen des Lehrgesprächs
Wichtig: Unter Punkt 5 wird die Motivation des Azubis angesprochen. Das ist OK! – Bitte stellen Sie sich darauf ein, dass Sie im anschließenden Fachgespräch insbesondere zum Punkt ‚Motivation‚ befragt werden!
Fazit
Ich halte die Idee eines Bewertungsbogen (als eine eher objektive Bewertungshilfe) für sehr gut!
Den Bewertungsbogen der IHK Essen halte ich allerdings für unbrauchbar!
Aus mehrfacher Erfahrung mit den Ausbildereigungsprüfungen bei der IHK Essen muss ich vermuten, dass einige Prüfer diesen Bogen eher schematisch und ohne großes Nachdenken anwenden. Fehlende Bewertungspunkte zu einzelnen nicht relevanten Anforderungsdetails werden von den Prüfern wahrscheinlich nicht ausgeglichen. Damit werden Prüfungsergebnisse ungerechtfertigt nach unten gezogen.
Vielleicht tragen auch meine obigen Gedanken zu weiteren Qualitätsverbesserungen bei den Ausbildereignungsprüfungen in dieser IHK bei …
Ich habe die IHK Essen im August 2016 über obigen Webseiten-Eintrag informiert
Guten Tag, Herr XY (Anmerkung: zuständiger IHK-Geschäftsführer),
leider muss ich Ihnen erneut ein kritisches Feedback zu den AEVO-Prüfungen innerhalb Ihrer IHK geben; Details finden Sie hier: …
Ich werde meinen SeminarteilnehmerInnen empfehlen, sich nicht mehr bei der IHK Essen / Ruhr prüfen zu lassen. – Ich weiß von einem Trainerkollegen, der genau diese Konsequenz bereits 2012 gezogen hatte.
Meine darüber hinausgehende
Kritik an den AdA-Prüfungen der IHK Essen
zum Vergleich: Bewertungsbogen der IHK Duisburg
Ende August 2016 hatte mir ein Prüfungsteilnehmer bei der IHK Duisburg das “Haupt-Merkblatt zur Ausbildereignungsprüfung” zur Verfügung gestellt, das folgende Bewertungsgrundlagen für die ‚Praktische Durchführung‘ und für das Fachgespräch enthält:
Meine umfassende Kritik an den AEVO-Prüfungen
Hierzu habe ich eine eigene Seite erstellt: Kritik an den AEVO-Prüfungen
Wie gut wissen Sie bereits für Ihre Ausbilderprüfung Bescheid?
weitere Unterseiten
zur AEVO-Prüfung
Das für die AEVO-Prüfung erforderliche Wissen ist umfangreich und vielfach nicht logisch ableitbar.
Nutzen Sie deshalb für Ihre Prüfungsvorbereitung meine bewährten Services – gut strukturiert und mit zahlreichen Beispielen, Grafiken, Merksätzen, Eselsbrücken und Tipps für die Prüfung:
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Hat Ihnen etwas in diesem Artikel gefehlt? – Bitte schreiben Sie mir ggf.: info@memoPower.de