eMail-Korrespondenz im August 2020 zwischen Frau Sigrid Martin und mir

Sigrid Martin:
Im Prinzip hat die IHK damit recht. Je nachdem, wie es gemeint ist.
Wenn es bedeutet, die Durchführung einer Ausbildungssituation in der praktischen Prüfung sei „veraltet“ und wird nicht mehr so gemacht, dann ist das falsch – die Durchführung ist in der Verordnung als Prüfungsinstrument genannt und kann damit auch genommen werden. Der Prüfungsteilnehmer hat laut AEVO das Wahlrecht. Was veraltet ist, ist der Begriff „Unterweisung“ und das dazu passende Rollenverständnis.
Wenn es bedeutet, dass die „Unterweisung“ im Rollenverständnis, Rollenbild und moderner Ausbildung überholt und veraltet ist, dann hat der Prüfungsausschuss eine Menge gelernt und verstanden und ich freue mich darüber. Es ist dann nur schlecht kommuniziert. Die Präsentation einer Ausbildungssituation lässt moderne zeitgemäße Ausbildungsmethoden und -gestaltung zu und entspricht damit den Vorgaben aus den Ausbildungsordnungen nach Selbstständig Planen, Durchführen und Kontrollieren, also der vollständigen Handlung.
Das alles heißt nicht, dass die 4-Stufen-Methode und das Lehrgespräch verteufelt werden, es sind aber eben ausbilderzentrierte Methoden, die wenig Kreativität und selbstständiges Denken und Handeln zulassen. Deshalb sind die auszubildendenzentrierten Methoden keine Begleiterscheinungen, sondern Methoden, die helfen, Ausbildungsziele zu erreichen und Auszubildende zu selbstständig denkenden und handelnden Mitarbeitern zu entwickeln, im Sinne der Lernprozessbegleitung.
Aber was wichtig ist:
Die Präsentation ist das Prüfungsinstrument für die AEVO und nicht die Ausbildungsmethode für die Auszubildenden. Bitte nicht verwechseln. Natürlich werden Azubis nicht ausschließlich mit Präsentationen ausgebildet, sondern es geht heute im Rollenbild um ganzheitliches Handeln und nicht ausschließlich um Vor- und Nachmachen und die Beistelllehre – da sind wir schon mehrere Jahrzehnte drüber weg.
Meiner Meinung nach eignet sich die Präsentation sehr gut für diese Prüfung, da Prüfungsteilnehmer:in die Planung und beabsichtigte Durchführung methodisch und didaktisch durchdenkt und dies dem Prüfungsausschuss nahe bringt. Ich halte nichts von den eingeübten Pseudoausbildungseinheiten – daran kann ich keine Ausbilderkompetenz erkennen. Ich finde Präsentationen auch nicht schwieriger als Durchführungen – Ausbilder:innen müssen doch in vielen Situationen des Ausbilderinnenlebens selbst präsentieren oder ihren Auszubildenden das beibringen, da es für diese zur Prüfung gehört. Da verstehe ich die die Vorbehalte überhaupt nicht.
Da man für die Durchführung ja auch ein Konzept erstellt haben sollte, ist es kein Problem, daraus eine Präsentation zu machen. In der Präsentation geht es eben um die Didaktik und Methodik und die pädagogischen Überlegungen, die der Prüfungsteilnehmer angestellt hat und nicht um die inhaltliche Durchführung. Meist haben die IHKs auf den Websites Informationen dazu.
Reinhold Vogt:
… sondern es geht heute im Rollenbild um ganzheitliches Handeln und nicht ausschließlich um Vor- und Nachmachen …
Zitat aus dem vorangegangen Block
Das ist auch meine Meinung!
Schon bisher wurden – zumindest in etwas größeren Betrieben neben Lehrgespräch und (im handwerklichen Bereich) 4-Stufen-Methode auch Gruppenarbeits-Methode, Diskussions-Methode und vielleicht sogar Präsentations-Methode für die Ausbildung genutzt.
Die noch mehr handlungsorientierten Methoden, insbesondere Leittextmethode / Leitfragenmethode, Erkundungsmethode, Projektmethode, Fallmethode / Fallstudie halte ich in der Tat nur für begleitende Methoden. Durch diese Methoden lassen sich die Masse der Lernziele leider nicht erreichen – jedenfalls nicht in der vorgegebenen Ausbildungsdauer.
Selbsterarbeitung mit Hilfe von PC-Lernprogrammen / Online-Learning sind ein gesondertes Thema.
Im Handwerk kann auf die (modifizierte) 4-Stufen-Methode nicht verzichtet werden, und generell (Handwerk / kaufmännischer Bereich) kann – in der Alltags-Praxis – nicht auf das Lehrgespräch verzichtet werden. Diese beiden Methoden werden nach meiner Einschätzung die am häufigsten eingesetzten Methoden bleiben! Alles andere ist nach meiner Einschätzung realitätsfremd.
Ich persönlich bedauere, dass in der AEVO die Präsentation bewusst als das favorisierte / erstgenannte Instrument für die AEVO-Prüfung genannt ist; denn nach meiner Meinung sollte im ‚praktischen‘ Prüfungsteil zumindest mit einem 50%-Anteil geprüft werden, ob die Ausbilder in der Lage sind, auch praktisch auszubilden! – Das ‚Rollenverständnis‘ der Ausbilder könnte u. a. im zweiten 50%-Anteil der praktischen Prüfung geprüft werden.
Aber: Ich bin der Meinung, dass einige wenige besonders clevere und ‚reife‘ Azubis sich ganz viel eigenständig / autodidaktisch beibringen / selbst erarbeiten können! – Das gilt erst recht für ältere Personen mit Berufserfahrung, die als Ausbilder tätig werden wollen. Aber das ist nicht die breite Masse!
Selbst die Mehrzahl der Studenten ist nicht in der Lage, sich autodidaktisch mit Hilfe aller heute zur Verfügung stehenden Medien auf ihre Examen vorzubereiten; sie brauchen ganz offensichtlich persönliche ‚Anleitungen‘ in Präsenz oder zum Beispiel per Zoom …
Im übrigen verweise ich auf meine weiteren Gedanken zu Präsentation kontra ‘Unterweisung’.
Wenn es bloß einen einfacheren offiziellen Begriff gäbe als dieses Wortungetüm: ‚Durchführung einer Ausbildungssituation‘
- Früher wurde eine ‚Unterweisung‘ durchgeführt.
- Heute wird eine ‚Durchführung einer Ausbildungssituation‘ durchgeführt …
Frau Martin
- ist eine sehr erfahrene Trainerin, u. a. für ‘Vorbereitung auf die Ausbildereignungsprüfung
- hat durch ihre Mitarbeit bei der Ausarbeitung von AEVO-Prüfungsfragen u. a. gute Verbindungen in die IHK-Organisation
- hatte nach der Neufassung des BBIG zum April 2005 meine AEVO-Lernkartei in wesentlichen Teilen aktualisiert